Die Zeit der Benkendorffs in Adamsdorf

Uta Matecki
Die Familie Benckendorff und die Domäne Adamsdorf

In dem – sehr lesenswerten – Erinnerungsbuch „Ländliches Leben in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ schreibt Bernhard Benckendorff jun. über die Zeit, die seine Familie als Domänenpächter in Adamsdorf verbrachte.

Der Vater Bernhard Benckendorff, geboren 1876 in Eldingen im Kreis Celle, erlebte seine Kindheit auf dem Gut Carolinenhof bei Waren und besuchte das Gymnasium in Waren. Danach lernte er an der landwirtschaftlichen Schule in Hildesheim, an Hochschulen und später in verschiedenen Anstellungen Theorie und Praxis seines Berufs. Von 1905 bis 1929 lebte B. Benckendorff sen. mit seiner Frau Gertrud aus Altona/Hamburg als Pächter auf dem Staatsgut Hof Grabow nördlich von Parchim. Sieben Kinder kamen im Zeitraum von 12 Jahren zur Welt, als Jüngster im Jahr 1918 der Verfasser des Erinnerungsberichts. Er erinnert sich an eine behütete und – als Kind der Gutsherrschaft – privilegierte Kindheit mit Kindermädchen und Hauslehrerin. Im Vergleich zu ihren Standesgenossinnen in der Stadt hatten aber die Frauen der Gutspächter sehr viel mehr Aufgaben und Arbeit und mussten während der Zeit des 1. Weltkriegs durchaus „ihren Mann stehen“.

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Das Gutshaus in Adamsdorf, ca. 1930. Aus: Niemann 2006: 119.

Im Jahr 1929 wurde auch die Familie Benckendorff vom so genannten Pächtersterben in Mecklenburg erfasst. Nicht nur die große wirtschaftliche Krise, auch die politischen Gegensätze zwischen der damaligen Landesregierung in Schwerin und den meist deutsch-national gesinnten Gutspächtern hatten daran ihren Anteil. Bernhard Benckendorff sen. führte einen Prozess mit der Regierung, um zumindest einen Teil der erwirtschafte-
ten Werte zurückzubekommen. Das Urteil nach einjährigem Verfahren fiel zu Gunsten der Benckendorffs aus: Schwerin musste ihnen eine andere Domäne verpachten, drei standen zur Auswahl. Die Familie entschied sich für Adamsdorf bei Neustrelitz, damals im Kreis Waren/Müritz gelegen, mit 262 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Das Gut in Adamsdorf war erheblich kleiner als Hof Grabow, auch das Wohnhaus und die Stallungen. Die beiden älteren Schwestern und abwechselnd einer der vier Söhne unterstützten die Eltern bei der Arbeit. Sohn Bernhard nennt in seinem Bericht den leichten Sandboden mit vielen Steinen und lehmigen Anteilen und die Schäden durch das in den Staatsforsten ringsum reichlich vorhandene Wild als ungünstige Voraussetzungen (Benckendorff sen. war seit 1905 der 11. Pächter!!!).
Das Gut Adamsdorf hatte einen Kuhstall mit 30 Milchkühen, einen Schafstall mit 200 Mutterschafen und eine anerkannte Schweinezucht. Auf den Feldern stand der Kartoffelanbau an erster Stelle. Der Betrieb durfte Lehrlinge ausbilden und einige Adamsdorfer Familien arbeiteten mit auf dem Hof – zu welchen Bedingungen erfahren wir allerdings nicht. Adamsdorf hatte um die Zeit (1930) noch keinen elektrischen Strom, die meisten Fahrten wurden noch mit Pferdefuhrwerken erledigt. Bernhard Benckendorff jun. ging damals im Carolinum in Neustrelitz zur Schule.
Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurde im Hause Benckendorff wie allgemein in deutsch-nationalen Kreisen wohl begrüßt, zunächst ahnte auch keiner, welche gravierenden Folgen die politischen Veränderungen für die Familie bringen würden. Die Eltern der Mutter, einer geborenen Auerbach, waren nämlich Juden, die 1893 zum Christentum konvertiert waren. Die Mutter wurde trotz christlicher Taufe zur Jüdin erklärt, musste den Namen „Sarah“ annehmen und den Judenstern tragen, verbunden mit allen weiteren Einschränkungen, die dies bedeutete. Auch die Kinder waren betroffen: sie galten als Mischlinge 1. Grades und erhielten Berufs- und Heiratsverbot. Die dienstpflichtigen Söhne wurden aus dem Militär entlassen, der Autor musste das Gymnasium und die Hitlerjugend – er war Scharführer in Peckatel – verlassen. Bernhard Benckendorff sen. wurde aufgefordert, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und das Land zu verlassen, beides lehnte er kategorisch ab.
Das Leben in Adamsdorf ging trotzdem seinen Gang, unterbrochen durch „großen Besuch“ 1937, als Hitler und Mussolini anlässlich von Heeresmanövern in Neustrelitz und Umgebung auch in Adamsdorf vor dem Gutshaus Halt machten. Der Autor erinnert sich: „Zum ersten und letzten Mal wurde eine Hakenkreuzfahne auf dem Rondell vor dem Hause gehisst. Mutti musste sich im Hintergrund halten.“
Für den Einsatz im 2. Weltkrieg waren die Söhne der Familie dann wieder gut genug. Ihre Teilnahme am Krieg verhinderte wohl auch, dass die Mutter in ein Konzentrationslager deportiert wurde. Trotz entsprechender Eingaben wurde aber die Gleichstellung des Autors und seiner Geschwister mit „deutschblütigen Personen“ weiterhin abgelehnt. Die Großmutter mütterlicherseits wurde 1943 mit 87 Jahren aus Hamburg nach Theresienstadt abtransportiert und dort umgebracht.
Der Betrieb in Adamsdorf wurde – zum großen Teil durch Zwangsarbeit von polnischen Kriegsgefangenen – aufrecht erhalten. Als 1945 die Sowjetarmee nach Mecklenburg einrückte, entschlossen sich die in Adamsdorf verbliebenen Familienmitglieder zur Flucht, wurden aber von den Sowjets überrollt. Sie kehrten nach Adamsdorf zurück, wo sie das Gut verwüstet vorfanden und in der ehemaligen Försterei Unterkunft nehmen mussten. Die Mutter des Autors starb noch 1945 an Typhus und Paratyphus.
In der Folgezeit flüchtete ein Teil der Familie in die BRD, der Vater, zwei Brüder und die beiden ältesten Schwestern „landeten“ – nach Zwischenstation in Peckatel – auf dem Pfarrhof Groß Lukow bei Penzlin. Eine Anerkennung als Opfer des Faschismus wurde ihnen verwehrt, so dass der Vater auf Unterhalt durch seine Kinder angewiesen war. Im Zuge der Kollektivierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft verließ auch Bernhard Benckendorff jun. 1954 die DDR. Er baute sich mit seiner Familie in Oberbayern eine neue Existenz auf, wo ihm 1961 nach jahrelangem Prozess die Anerkennung als Flüchtling und damit auch finanzielle Entschädigung gewährt wurde. Der Vater starb 1955 im Krankenhaus Neustrelitz, auf den Tag genau 10 Jahre nach dem Tod seiner Frau Gertrud. Beide sind auf dem Friedhof in Liepen beigesetzt worden. Von der Grabstelle findet sich dort heute nichts mehr.
Im Juni 1980 trafen sich der Verfasser des Erinnerungsberichts und seine Geschwister – zum letzten Mal alle gemeinsam – zur Goldenen Hochzeit der Schwester Gisela in Hornbek bei Mölln.

(nach: Bernhard Benckendorff, Die Familie Benckendorff und die Domänen Hof Grabow und Adamsdorf in: „Ländliches Leben in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, herausgegeben von Mario Niemann. Ingo Koch Verlag, Rostock 2006)